Bei mir wohnen scheinbar ein paar mehr Profis ums Eck, wie anfangs angenommen. Dieses Mal stolperte ich nämlich über die in Hamburg sesshafte Triathletin Annika Krull, die sich in Elsinor (Dänemeark) beim 70.3 Ironman im Juni den Europameistertitel erkämpfen konnte.
Im Jahr zuvor gewann die 29-Jährige bereits zum zweiten Mal den Halbmarathon in Bremen und rannte beim Rennsteigmarathon ebenfalls vorne weg.
Annika gehört also nicht erst seit gestern zur starken Konkurrenz im Drei-Disziplinen-Fight – da ist wohl etwas an mir vorbei gegangen. Also hole ich an dieser Stelle schnell wieder auf!
Fangen wir ganz vorne an…
„Sport betreibe ich eigentlich, solange ich denken kann.“
Angefangen aber hat alles mit dem Turnen, dann dem Schwimmen und der Leichtathletik. Im Alter von 16 Jahren zog sie schließlich aufgrund ihrer sportlichen Leistungen in der Leichtathletik (Disziplinen Weitsprung, Dreisprung und Hürden) in den Olympiastützpunkt Bochum-Wattenscheid und nahm an zahlreichen nationalen und internationalen Wettkämpfen teil.
Aufgrund ihres Studium-Beginns (Maschinenbau) wechselte sie erneut den Wohnort, beendete ihre leistungssportliche Laufbahn und entschied zunächst, sich vollständig auf ihr Studium zu konzentrieren.
„Doch schnell merkte ich, dass ohne Sport mein Leben nicht vollständig ist.“
Flexibler und unabhängiger bewies sich das Laufen
Allerdings schienen die Aussichten dort anfangs nicht sehr rosig…
„Mein damaliger Leichtathletik-Trainer belächelte mich nur, denn damals war das Einlaufen vor dem Training (ca. 800m) für mich schon zu lang…“
Schnell aber folgten die ersten Wettkämpfe, 2013 sogar der erste Marathon.
Wo bleibt die Abwechslung?
Annika war natürlich aus ihrer Vergangenheit die Abwechslung gewöhnt und die einseitige Belastung durchs Laufen führte häufiger zu Verletzungen. Deshalb kam sie schon damals notgedrungen mit den alternativen Sportarten Radfahren und Schwimmen in Kontakt. Schnell kommt man dann auch nicht um den ersten Triathlon herum. Dieser stand 2015 an, wobei ihr Freund ein wenig nachhalfen musste und sie zum Start überredete.
„Gruselig war’s! Ich bin sehr blauäugig in das Rennen gegangen. Zuvor war ich noch nie im Freiwasser geschweige denn mit 200 Athleten gleichzeitig geschwommen… dementsprechend war ich völlig überfordert und schwamm die gesamte Strecke im Brust-Stil. Auf dem Rad begann dann die Aufholjagd und erst recht in den Laufschuhen.“
Trotz anfänglicher Schwierigkeiten langte es am Ende für den zweiten Platz. Der erfolgreiche Einstieg in den Triathlon war somit gefunden.
Und bis heute hält sie an dem Trio fest…
„Es ist die Abwechslung, die den Triathlon ausmacht. Ich bin vermeidlich weniger häufig verletzt und die drei Triathlon-Disziplinen wirken sich zudem sehr förderlich auf meine rein läuferische Leistung aus.“
Denn seitdem sie ihren Fokus vermehrt auf das Triathlon-Training legt, konnte sie einige neue Bestzeiten auf 10 km (PB: 36:35 min) und dem Marathon (PB: 02:48:08h) aufstellen.
„Ansonsten finde ich die ‚Material-Schlacht‘ im Triathlon reizvoll – auch wenn es von einigen Triathleten definitiv übertrieben wird und sie sich eher auf ihr Training, als auf ihr Material konzentrieren sollten 😉 !“
Aufgrund ihres Bachelorstudiums Sports Engineering hat Annika natürlich eine fachmännische Beziehung zu dem Thema Sportgeräte:
„Ich finde es super spannend, welche Fortschritte und Weiterentwicklungen es beispielsweise in Bezug auf die Zeitfahrräder in den vergangenen Jahren gegeben hat. Wie aber schon beschrieben, ist das Material nicht alles. Dennoch fühle ich mich psychisch stärker, wenn ich mit für mich optimalem Material an den Start gehe.“
Rein sportlich gesehen kommt Annika mit ihrem Steckenpferd – das Laufen – am Ende des Triathlons zum Zug, was für sie auch ein psychologischer Vorteil ist.
„In allen drei Disziplinen jedoch ist es ein Grenzganz zwischen Schnelligkeit und Zurückhaltung. So, dass man zum einen bestmöglich vorne im Feld mithalten kann, andererseits aber dieses auch bis zum Ende des Rennens halten kann und nicht einbricht.“
Stichwort Taktik!
So wie der Wettkampf ein effektives Zeitmanagement erfordert, ist dies auch im Alltag häufig die größte Herausforderung.
„Da ich Vollzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Hamburg-Harburg arbeite und gerade in der Endphase meiner Promotion stecke, ist mein Zeitbudget relativ knapp und eine gute Tagesplanung zwingend notwendig.“
Durch Kombination von beispielsweise Arbeitsweg und Radeinheit ist das Trainingspensum aber machbar.
„Ich habe gelernt, konsequent, fokussiert und effizient an Dingen zu arbeiten – im Sport sowie im Alltag. Man traut sich im Leben mehr zu, weil man weiß: ich bin belastbar.“
Eine extra Abhärtung erwartet Annika bei der Ironman-Premiere in Hamburg am 13. August. Dort stellt auch sie sich das erste Mal den 3,86 km Schwimmen, 180,2 km Radfahren und 42,195 km Laufen.
„Schwierig dabei wird der Faktor Ernährung. Ich habe noch keinen Wettkampf über eine solche Länge absolviert und kann aktuell nicht einschätzen, in welcher Form ich die benötigte Energie am Besten zuführe – da werde ich noch ein wenig experimentieren müssen…“
Ihre Stärke – hart im nehmen – kann sich aber auch negativ auswirken:
„Denn manchmal weiß ich nicht, wo der ‚Aus‘-Schalter ist, sodass die Gefahr besteht, dass ich mich übernehme.“
Obwohl Annika ein ehrgeiziger Grenzgänger ist, bleibt ihre größte Motivation:
Hauptsache Spaß haben!
Es muss sich in einer gesunden Mitte einpendeln. Und das zeichnet sie auch als Mensch aus: so hält sie stets die Balance zwischen Freunde und Familie, Sport und Arbeit.
„Gerade in dem recht durchgetakteten Alltag sind Familie, Freunde und der Partner die Ruhepole für mich. Sie geben Rückhalt und Geborgenheit.“
Obwohl der Sport eine sehr wichtige Rolle in ihrem Leben spielt, bedeutet er eben auch nicht alles.
„Ich wurde in der letzten Zeit vermehrt gefragt, ob ich nicht meinen Job aufgeben und als Profi-Athletin starten möchte. Aktuell kann ich mir diese Situation nicht vorstellen. Ich liebe zwar den Sport und hätte auch gerne ein bisschen mehr Zeit dafür – doch brauche ich neben der physischen Belastung auch eine psychische Beanspruchung. Für mich ist der Sport nicht nur der Ausgleich zur Arbeit, sondern auch umgekehrt.“
Und schließlich muss man sich auch absichern. Schnell kann der Leistungssport durch eine schwere Verletzung vorbei sein und selbst bei größtmöglichem Erfolg in der aktiven Zeit ist es nur wenigen Athleten möglich, sich zu finanzieren.
Deshalb versucht Annika ihre Ambitionen im Alltag bestmöglichst zu arrangieren, um so dennoch ihrem langfristigen Ziel näherzukommen. Dies orientiert sich ebenfalls auf lang: nämlich die Langdistanz und hierbei speziell eine vordere Platzierung bei der Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii.
„Doch bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob ich dieses Event als Ziel oder vielleicht sogar als Traum bezeichnen soll.“
Grundsätzlich ist es für Annika wichtig, auf sich und ihre persönlichen Ziele zu schauen und nicht auf die anderen.
„Nur du allein kannst deine eigene Leistung beeinflussen. Im Endeffekt ist der Triathlon eine Sportart, bzw. die meisten Ausdauerdisziplinen, in denen der Körper der größte Gegner ist.“
Mit genügend Selbstvertrauen weiß man, was man wert ist und verteidigt sich, wenn man ungerecht behandelt wird. Dabei ist es wichtig, mit sich selbst zufrieden zu sein, sonst bringt einem auch ein wahr werdender Traum nicht das Glück.
„Wenn man sich nicht so akzeptiert, wie man ist, braucht man sich auch nicht wundern, dass andere Leute einen nicht mögen. Kein Mensch ist perfekt und kein Mensch muss sich für seine Fehler schämen, denn genau das macht uns alle so unterschiedlich und aus jedem etwas Besonderen.“
Aber auch die Versuche, seine Träume und Visionen wahr werden zu lassen, helfen einen, sich selbst zu verwirklichen.